
Potsdam – Der wachhabende Adler sieht lĂ€diert aus. Einst stand er drĂŒben am Alten Markt auf dem Fortuna-Portal des Potsdamer Stadtschlosses, kĂŒndete dort symbolisch vom Karrieresprung des Schlossherrn: Das Portal war 1701 errichtet worden, als aus dem KurfĂŒrsten Friedrich III. Friedrich I. geworden war – erster König in PreuĂen.
Dass Sandsteinadler jetzt beinahe ebenerdig in der neuen Dauerausstellung im Haus Brandenburgisch-PreuĂischer Geschichte (HBPG) hockt, sagt viel ĂŒber diese Schau aus, die, so der lĂ€ngjĂ€hrige Leiter Kurt Winkler, â1000 Jahre Geschichte in einer Stunde erlebbar machen willâ. Nichts soll hier geschönt, niemand glorifiziert und kein Streitthema vermieden werden.
Zudem markiert der Adler eine Gabelung: Links geht es in die Ă€ltere Geschichte, rechts von ihm ins 20. und 21. Jahrhundert. Und auch, wenn er bei der Rekonstruktion des Stadtschlosses ab 2000 als Vorlage fĂŒr die denkmalgerechte Sanierung des Skulpturenschmucks diente: Man sieht ihm an, dass er eine Bombardierung und eine Sprengung mitgemacht hat. PreuĂische Hochzeit, Zweiter Weltkrieg, DDR-Zeit und Re-Barockisierung der Nachwendezeit – all das ist diesem gerupften Vogel anzusehen. Ein Kondensat von 300 Jahren Brandenburg.
Schau wurde seit Jahren geplant
Im Vorfeld dieser seit Jahren geplanten Schau war viel von Digitalisierung die Rede. âBrandenburg. Ausstellungâ baut jedoch durchaus auf die Kraft von Originalobjekten: 228 sind zu sehen. Deren VorgĂ€ngerin âLand und Leuteâ war bereits 2018 abgebaut worden. Warum die Vorbereitung so lange dauerte, hat Kurt Winkler zufolge mit der Politik zu tun, aber auch damit, dass âBrandenburg sich schwer tut mit seiner IdentitĂ€tâ. Andere BundeslĂ€nder lieĂen sich einfacher auf einen Nenner bringen, so Winkler – Brandenburg jedoch streite leidenschaftlich ĂŒber den Umgang mit PreuĂen, der DDR, dem Barock.
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Dazu kam: Das HBPG wollte sich erneuern, grundlegend. Wollte zeitgemĂ€Ăer werden: partizipativer, hybrider, inklusiver. Wer fĂŒrchtete, vor lauter HybriditĂ€t um die Freude des Haptischen gebracht zu werden, kann jedoch beruhigt sein: Die âBrandenburg. Ausstellungâ ist ein durch und durch sinnliches Erlebnis. Multimediale Elemente und ein ausfĂŒhrliches Begleitprogramm fĂŒr Kinder lĂ€dt ausdrĂŒcklich auch Familien zum Erkunden ein.
Die gute alte Vitrine und das Potsdam-Modell von 1912, das schon in der VorgĂ€ngerschau zu sehen war, kommen hier ebenso zum Einsatz wie zehn groĂformatige Themenkarten (zu Migrationsbewegungen in Brandenburg etwa), Medienstationen mit Audio- und Videomaterial und historischen Dokumenten – und auch zehn âlebende PortrĂ€tsâ. Kurt Winkler nennt sie Avatare: kurze, mithilfe der FilmuniversitĂ€t Babelsberg gedrehte Videos, die historische Persönlichkeiten wiederauferstehen lassen.
Verschiedene Themeninseln werden kritisch beleuchtet
Promis wie Sophie Friederike Wilhelmine in PreuĂen, Komponistin und Schwester von Friedrich II., oder Emilie Fontane, die Frau Theodor Fontanes (dessen Schreibtischstuhl hier auch bewundert werden kann). Vorgestellt wird aber auch die fiktive Figur Anna, eine BĂ€uerin aus dem 10. Jahrhundert. Ăberhaupt ist klar der Versuch erkennbar, die von der offiziellen Geschichtsschreibung oft Vergessenen zurĂŒck in den Kanon zu holen. So kommt nicht Friedrich II., sondern dessen Leibkutscher Johann Georg Pfund zu Wort, man trifft auf Frauen wie GrĂ€fin von Itzenplitz (1772-1848), die nicht nur Gutsherrin war, sondern auch Agrarreformerin. Kurt Winkler spricht dezidiert nicht von âDauerausstellungâ, sondern nennt sie eine âĂberblicksprĂ€sentationâ.
Zum Einen soll hier nichts von Dauer sein, sondern sich weiter verĂ€ndern und aktualisieren. Zum anderen wird hier nicht der Anspruch erhoben, 1000 Jahre Geschichte chronologisch zu durchpflĂŒgen – stattdessen werden verschiedene Themeninseln kritisch beleuchtet. âTypisch Brandenburg?â, fragt die erste und legt die Ă€lteste bekannte Quelle offen, die die Mark als âStreusandbĂŒchseâ betitelte: Johan HĂŒbners war das, im Jahre 1733. Auch prĂ€gte er bereits das Image von der Mark als hartem, kargem Terrain: Es sei ein Land, âdarinnen die Leute arbeiten mĂŒssen, wenn sie sich wohl befinden wollen.â
Das 20. und 21. Jahrhundert, rechts vom Adler, wird vergleichbar knapp behandelt. Vier groĂgezogene historische Fotos fĂŒhren in die Weimarer Republik, das 3. Reich, die DDR und die Gegenwart ein. Auf deren RĂŒckseiten jeweils eine groĂe Vitrine mit Objekten, deren Geschichten man sich per Touchscreen erschlieĂen kann: FĂŒr das noch junge Genre der hybriden Geschichtsausstellung dĂŒrfte diese eindrĂŒckliche Schau durchaus beispielhaft sein. Beim Verlassen fĂ€llt der Blick auf eine schwarze Wand, dem Adler gegenĂŒber. Dort steht, ĂŒber einem barocken Kronleuchter und einem sowjetischen Stern: âWir sagen: Die Zeit vergeht, / Dabei sind wir es, die verschwinden.â
Quelle: Inforiot.de