Februar 25, 2021
Von Revista BUNA
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Buchbesprechung: Wie Rumänien rumänisch wurde

Die wissenschaftliche Studie des Bukarester Geschichtsprofessors Lucian Boia „Wie Rumänien rumänisch wurde“ liegt seit kurzem auch in deutscher Übersetzung vor. In Rumänien hat diese wichtige Arbeit viel Kritik unter den mehrheitlich nationalistisch gesinnten Kreisen in Staat, Wissenschaft und Medien hervorgerufen. Denn Boia widerlegt das heute noch gerne geglaubte politische Geschichtsbild vom „einheitlichen rumänischen Nationalstaat“ und einer einheitlich nationalistisch denkenden rumänischen Volksgruppe anhand zahlreicher Beispiele.

Er erläutert ausführlich, dass dieser „Nationalstaat“ nicht aus der gesellschaftlichen Realität entstand, sondern dem politischen Willen der Nationalliberalen mit Unterstützung konservativer-nationalistischer Professoren und Pädagogen entstammt. Der heute noch im Bewusstsein der Bevölkerung präsente Pädagoge und mehrmalige Bildungsminister Spiru Haret (1851-1912) ist einer ihrer Protagonisten. Weiterhin untersucht Boia die tragende Rolle der Rumänisch-Orthodoxen Kirche und des rumänischen Zentralstaates, sprich – seiner Regierungen und Behörden. Er analysiert ausführlich die Entwicklung des Schulsystem, die Ergebnisse und Erhebungsmethoden bei den staatlichen Volkszählungen und blickt auf die verschiedenen Regionen Rumäniens mit deren unterschiedlichen Volksgruppen. Dabei belegt er, dass es sich bei Rumänien, seit seiner staatlichen Existenz, immer um einen Vielvölkerstaat bzw. eine Vielvölkergesellschaft handelte. Die Nationalisten wollten mit ihren Bestrebungen und Gesetzen von Anfang an diese Vielfalt zerstören und einen ethnisch reinen rumänischen Nationalstaat schaffen. Der rumänischen Geschichtsschreibung attestiert er, dass sie „noch immer ziemlich stark von einem hartnäckigen Mythos der ‚Einheit‘ durchdrungen“ ist. „Es ist eine Art Aberglaube“, so Boia.

Boia referiert über den Siedlungsraum des heutigen Rumänien und die zahlreichen, über die Jahrhunderte hinweg unterschiedlichen kulturellen Einflüsse verschiedener Völker, darunter Bulgaren, Griechen, Armenier, Türken, Albaner, Juden, Deutsche, Ukrainer, Serben, Roma und Ungarn. Auf jede Volksgruppe geht er gesondert ein. Er führt aus, dass selbst das „Nationalsymbol der Rumänen schlechthin“, Michael der Tapfere, Sohn einer Griechin war. Dass sich die verschiedenen Volksgruppen auf demselben Gebiet ansiedelten, lag auch an ihrer Arbeitstätigkeit. Denn da, so Boia, „die einheimischen Rumänen, ob nun Bauern oder Bojaren (Großgrundbesitzer, Anm. M.V.), weder für Handwerk noch für Handel sonderliches Interesse zeigten, wurden diese Tätigkeiten bereits seit dem Mittelalter den Fremden überlassen“. Für die Städte in den Regionen der Moldau und Siebenbürgens (Transsilvanien) führt er aus, dass sich dort die Mehrheitsbevölkerung „stets“ aus anderen Volksgruppen zusammensetzte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts waren es beispielsweise die aus Galizien eingewanderten Juden, die in Handwerk und Handel in der Region Moldau die tragende Rolle einnahmen. Nach Boia wurde die rumänische Nationalideologie mit dem Ziel der Gründung eines rumänischen Staates 1859 geschaffen, da die „Präsenz der Fremden“ eine „gewisse Frustration und Ablehnung verursachte“: „Nach so langer Zeit unter fremder Herrschaft bzw. unter fremdem Einfluss drängte es die Rumänen, ein Rumänien zu bilden, das nur ihnen alleine gehören sollte. Unter diesem Druck entstand ein dauerhafter rumänischer Nationalismus mit seiner ausdrücklich ethnizistischen und religiösen Prägung (als wahrer Rumäne gilt der ethnische und vorzugsweise orthodoxe Rumäne).“

Die Studie ist in drei geschichtliche Zeitabschnitte untergliedert. Sie behandelt chronologisch das Altreich (Moldau und Walachei), Großrumänien (mit Bessarabien, Teilen der Drobudscha, der Bukowina und Transsilvaniens) sowie der Zeit unter dem Staatskapitalismus der Kommunistischen Partei („Kommunismus“) und der Transformation nach 1989 („Postkommunismus“).

Die Ausdehnung des rumänischen Zentralstaates nach dem Ersten Weltkrieg führte u.a. 1918 zur Annexion Bessarabiens. Bis auf den heutigen Tag ist diese historische Vielvölker-Region eine Besessenheit rumänischer Nationalisten und der rumänischen Massenmedien, die eine „Wiedervereinigung“ mit der rumänischen Bevölkerung der Republik Moldawien und dem Staat Rumänien fordern. Boia referiert darüber, dass der nationalistisch gesinnte rumänische Bevölkerungsanteil in Bessarabien sich eine Modernisierung des Landes und weitgehende Autonomie über die sie betreffenden Angelegenheiten und Beteiligung „an den Entscheidungen über die Neuorganisation des Landes“ gewünscht hatte. Doch „dem war ganz und gar nicht so.“ Die führenden Köpfe der rumänischen nationalistischen Volksvertreter in Bessarabien sahen sich daher 1924 veranlasst, die rumänische nationalistische Regierung in Bukarest scharf zu kritisieren. Sie sprachen von einem „‘gewaltsamen Regime‘ der Unterdrückung, das von Willkür und Terror gekennzeichnet ist“. Als Grund dafür führt Boia sowohl die zentralistische Machtstruktur des Staates als auch schlechte Charaktereigenschaften der Staatsbeamten an. Er drückt dies wie folgt aus: „Viele Einwohner des Altreiches und nicht immer nur die kompetentesten und ehrlichsten, wechselten in die neuen Provinzen, in die verschiedenen staatlichen Einrichtungen: eine rumänische Verwaltung also, die nicht unbedingt Begeisterung hervorrief!“ Als Fazit stellt er fest: „Bessarabien wurde in empörendem Ausmaß mit Geringschätzung behandelt, wo es doch von allen rumänischen Provinzen auf der untersten sozialen und kulturellen Stufe stand.“ Übrigens waren nicht alle Angehörigen der rumänischen Volksgruppe in Bessarabien Nationalisten. Diese setzten sich mehrheitlich aus dem rumänisch-orthodoxen Klerus sowie den Bojaren zusammen, während z.B. rumänische Tagelöhner durchaus mit sozialrevolutionären und sozialistischen Ideen sympathisierten.

Auch den 1918 neu dazugekommenen Provinzen Banat und Siebenbürgen attestiert er, dass diese durch die Politik der Zentralregierung einen „ähnlichen Eindruck von Kolonisierung machen, wie in Bessarabien“. Nationalistische Repräsentanten Siebenbürgens, wie Iuliu Maniu (1873-1953), erklärten 1938 gegenüber dem König, „Siebenbürgen und das Banat machen den Eindruck von besetzten Gebieten.“ Für die Dobrudscha konstatiert er 1939/40 Elemente der ethnischen Säuberung, durchgeführt aufgrund von Entscheidungen nationalistischer Regierungen in Berlin, Istanbul, Sofia und Bukarest: „Innerhalb kürzester Zeit wurde die Dobrudscha drastisch rumänisiert und verlor größtenteils ihre ethnische Vielfalt, die doch jahrhundertelang ihr konstitutives Element gewesen war: Die Bulgaren waren verschwunden, auch Deutsche, Türken und Tataren gab es nur noch wenige.“

Deutliche Worte findet er auch zur Judenverfolgung durch die faschistische Regierung Ion Antonescus (1882-1946): „Ethnische Säuberungen wurden in Rumänien zur Staatspolitik und gleichzeitig zu einem Langzeitprojekt. Die Hauptopfer waren die Juden, da sie von einer antisemitischen Gesetzgebung betroffen waren. […] Die Zahl der Ermordeten bei Massenhinrichtungen oder in den transnistrischen Lagern wird auf mindestens 120.000 bis maximal 270.000 geschätzt. […] Auch Zigeuner wurden nach Transnistrien deportiert. Ca. 25.000 wurden dorthin verschleppt. Die Hälfte der Deportierten kam ums Leben“.

Für die Zeit der Herrschaft der Kommunistischen Partei Rumäniens von 1947-1989 stellt er fest: „Ironischerweise schaffte es der Kommunismus – eine Doktrin des ‚Internationalismus‘, die in Rumänien unablässig die gleichen Rechte aller Nationalitäten forderte –, den Prozess der Rumänisierung noch weiter zu treiben als es Rumänien in der Zwischenkriegszeit oder gar die nationalistische Rechte während der Kriegsjahre vermochte.“ Grund dafür war die nachhaltige kulturelle Unterdrückung der Minderheiten in allen Lebensbereichen. Besonders Deutsche und Juden verließen das Land. Bei deutschen Auswanderern erhielt der rumänische Staat zudem oftmals eine finanzielle Prämie, ein Kopfgeld durch die Bundesrepublik Deutschland. Als zweiten gewichtigen Grund führt er die Industrialisierung der Gesellschaft an, die „Umwandlung Rumäniens von einem ausgeprägten Agrarland in eine industrielle Großmacht. […] Bevölkerungsmassen aus den umliegenden Dörfern, aber auch aus anderen Regionen ergossen sich in die Städte. Sie kamen aus der Moldau oder Oltenien nach Transsilvanien, Siebenbürgen und ins Banat. Da die Dörfer stärker rumänisch waren als die Städte und die Provinzen des alten Rumänien rumänischer als Transsilvanien, war die intensive Rumänisierung der Städte, in denen die Deutschen und Ungarn in Transsilvanien und im Banat bis zum Kommunismus dominiert hatten, die natürliche Folge.“

Alle von ihm dargelegten politischen und gesellschaftlichen Ereignisse, Analysen und Schlußfolgerungen sind schlüssig aufbereitet und nachvollziehbar. Boia hat sich durch viele Quellen gearbeitet, Statistiken und Erhebungsmethoden wie z.B. die bereits erwähnten Volkszählungen herangezogen und bewertet. Bei diesen letzteren musste er übrigens feststellen, dass dabei über Jahrzehnte hinweg manche Volksgruppen und Religionszugehörigkeiten auch gerne mal unter den Tisch gefallen lassen- oder der rumänischen zugeordnet wurden. Ganz offiziell wurde auf diese Weise die Realität entstellt, um dem nationalistischen politischen Ziel zu dienen.

Boias Studie ist ein wichtiges Korrektiv der vorherrschenden, oftmals gezielt verbreiteten, konstruierten falschen Mehrheitsmeinungen und Gewissheiten. Er stellt sich damit in Opposition zu diesen und der Ignoranz von Unrecht und Gewalt durch völkische Rumänen, Regierungen und Medien. Seine wichtige Ausarbeitung sollte Eingang in den Bildungsbereich Rumäniens finden. Allen an Rumänien interessierten sei sie als Grundlagenschrift empfohlen.

Martin Veith

Lucian Boia: Wie Rumänien rumänisch wurde.

Ins deutsche übersetzt durch Andreea Pascaru

Verlag Frank & Timme, Berlin 2016

110 Seiten, 14,80 €

ISBN: 978-3-7329-0217-0

Dieser Artikel ist erschienen in BUNĂ #7




Quelle: Revistabuna.wordpress.com