Ich bin Tochter
Ich bin Schwester
Ich bin eine liebevolle Freundin
Ich bin eine Frau
eine Frau aus einem toten Dorf im SĂŒden,
eine Frau, die seit Urbeginn barfuà lÀuft
auf der glĂŒhenden Erde der WĂŒste
von einem Ende zum anderen.
Ich bin von kleinen Bauern im Norden
eine Frau, die seit Urbeginn barfuĂ
in Reisfeld und Teefeld geht
bis zum Ende ihrer Kraft
ich bin von verlassenen Ruinen im Osten
eine Frau, die seit Urbeginn barfuà ertrÀgt
auf durstiger Erde
ein Tröpfchen Wasser zu suchen
eine Frau, die seit Urbeginn barfuĂ fĂŒhlt
mit dem mageren Ochsen auf der Tenne
vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang
von der DĂ€mmerung bis zum Morgengrauen
die Schwere der Qual
ich bin eine Frau
von den NomadenstÀmmen
von den Landstreichern in WĂŒsten und Bergen
eine Frau, die ihr Kind auf dem Berg bekommt
und in der Weite der WĂŒste
ihre Ziege verliert und beweint
ich bin eine Frau
eine Arbeiterin, die mit ihren HĂ€nden
in der Fabrik die groĂen Maschinen bewegt
und jeden Tag wird ihre Kraft
von den ZĂ€hnen des Rades zerhackt.
So einfach, eine Frau, an deren Lebenskraft
sich die gierige Leiche mÀstet
und durch den Verlust ihres Blutes
wÀchst Kapitalistenprofit
eine Frau, die keinen Platz hat
in den Vorstellungen eurer schÀndlichen Kultur
da sind ihre HĂ€nde weiĂ
ihre Finger zart, ihre Haut weich
und ihre Zöpfe duften.
Ich bin eine Frau, deren HĂ€nde
von schneidenden Qualen verletzt sind
eine Frau, deren Gestalt
durch eure Schamlosigkeit
unter der gewaltigen Arbeit
einfach gebrochen ist
eine Frau, deren Haut
fĂŒr die Sonne der salzigen WĂŒste
ein Spiegel ist
deren Zöpfe duften nach Rauch
ich bin eine freimĂŒtige Frau
eine Frau, die seit Urbeginn
an der Seite ihrer Schwestern und BrĂŒder
ihrer Genossinnen und Genossen
die WĂŒsten durchwandert
eine Frau die erzieht
die mÀchtige Faust des Arbeiters
und den kraftvollen Arm des Bauern.
Ich bin selbst Arbeiterin
ich bin selbst BĂ€uerin
meine ganze Gestalt ein Bildnis der Qual
meine Erscheinung verkörpert den Hass.
Welche UnverschÀmtheit von euch
mir zu sagen
die Qual meines Hungers sei Phantasie
die Nacktheit meines Körpers sei Wahn
ich bin eine Frau
die keinen Platz hat
in den Vorstellungen
eurer schÀndlichen Kultur
eine Frau
in deren Brust das Herz ĂŒbervoll ist
von ansteckenden GeschwĂŒren der Rache
eine Frau
in deren Augen
der rote Schein der Geschosse der Freiheit sich bricht.
Eine Frau deren HĂ€nde durch Arbeit
hart genug geworden sind
die Waffe zu ergreifen.
(Von Marzieh Ahmadi*, Organisation der Volksfedajin-Guerilla Iran. Bei dem Versuch Genossen vor dem iranischen Geheimdienst SAVAK zu retten, geriet sie mit den Agenten in ein Feuergefecht und starb am 26. April 1974 im Alter von ca. 33 Jahren in Teheran.)

ErgÀnzung:
Und wenn ich auch hier und heute eine bin
die behĂŒtet und wĂŒstenlos
in einer Metropole aufgewachsen ist
die nicht die Qual des Hungers
aber die des Konsums
und nicht die Qual der Schwerstarbeit
aber die Entfremdung der Wissenschaften
und nicht den offenen
aber den subtilen Terror
am eigenen Leibe erfahren hat
so bin ich doch genauso eine Frau
die keinen Platz hat
in den Vorstellungen dieser Gesellschaften
bin ich eine Frau, die sich verbunden fĂŒhlt
mit Arbeiterinnen, mit BĂ€uerinnen,
den unterdrĂŒckten Schwestern der ganzen Welt
mit denen, auf deren Kosten
sich die Metropole nÀhrt und erhÀlt
vor allem aber mit denen, mit denen mich
der gemeinsame Wille zum KĂ€mpfen eint.
*Marzieh Ahmadi ist 1941 in Osku im Norden des Iran geboren und war Dichterin und Lehrerin. Sie war AnfĂŒhrerin der Studentenproteste von 1970, weswegen sie im Knast landete und anschlieĂend nach Osku verbannt wurde. SpĂ€ter schloss sie sich der Guerilla an. Das Gedicht wurde dem Buch: âder Morgenröte entgegenâŠâ Gedichte und Texte gegen den imperialistischen Krieg, entnommen.
Quelle: Autonomie-magazin.org
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