Die Corona-Pandemie ist ein Jahrhundertereignis â und sie hat die Linke kalt erwischt. Und so beginnt Ebermann gleich mit der These, die Pandemie sei nicht unvorhersehbar gewesen, aber unvorhergesehen. Vorhersehbar auch fĂŒr Linke, weil es ja durchaus linke Analysen gab, wie jene von Rob Wallace, der den Zusammenhang der âökosystemischen VerhĂ€ltnisseâ, die das Kapital seinen Interessen gemÀà gestaltet, seiner Entwaldungen und einer Landwirtschaft mit genetischen Monokulturen, Schlachtvieh und Pflanzen mit nahezu identischem Erbmaterial und der Ausbreitung von Mikroorganismen beschrieb.
Ebermanns Ausgangspunkt lautet: âLinkssein ist nur denkbar als Feindschaft gegenĂŒber dem Todâ. Er analysiert unter RĂŒckgriff auf die Arbeiten von Wolfgang Hien den Umgang von Staat und Kapital mit den Körpern und der Gesundheit der Menschen. Hien beschreibt die Leiden der Arbeiter*innen in den Bergwerken, Fabriken und BĂŒros seit dem Beginn der Industrialisierung. Ebermann: âEs wurde immer nur so viel Schutz durchgesetzt, wie es den herrschenden ökonomischen und politischen Eliten bevölkerungspolitisch opportun warâ. Und er nimmt in den Blick, dass bereits âdas so genannte Wirtschaftswunderâ auf der âVerachtung des (angeblichen) menschlichen Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheitâ basierte. Dazu gehören allerdings auch Gewerkschaften, die vielfach ihren Frieden mit diesen VerhĂ€ltnissen machten, den âstarken Proletarierâ heroisierten, der die VerhĂ€ltnisse aushielt, statt sich ihnen zu widersetzen. Ăber Streiks und Proteste gegen die Arbeitsbedingungen unter der Pandemie ist jedenfalls aus Deutschland nichts bekannt geworden â anders etwa in Italien.
Und dazu gehören auch die Ideen der âSelbstoptimierungâ und SelbstverhĂ€rtung, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich trotz der Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung Millionen in die U-Bahnen drĂ€ngten, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen.
Auch dem Umgang des deutschen Staates mit der Pandemie liege deshalb âein notwendiges kapitalistisches KalkĂŒl zugrunde (âŠ) , nĂ€mlich das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer »zu hohen«, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeintrĂ€chtigenden Zahl von Infektionen â bei Erhalt der LoyalitĂ€t gegenĂŒber dem Staat sowie seinem regierenden und kon-struktiv-oppositionellen Personal selbstverstĂ€ndlichâ.
Die âRĂŒckkehr zur NormalitĂ€tâ ist deshalb fĂŒr Ebermann kein Heilsversprechen, seine Kritik gilt dem Staat ebenso wie allen, die die Gefahren der Pandemie verharmlosen, kommen sie von rechts oder von links.
Eine Fortsetzung des Buches wird ja vielleicht noch erscheinen: Ebermanns BeschĂ€ftigung mit den Reaktionen der Linken auf die Pandemie und mit ihrer Auseinandersetzung mit der staatlichen Pandemie-Politik. Manche, die den Staat im âAusnahmezustandâ und im Ăbergang zu einem autoritĂ€ren Regime sehen, waren in ihrer politischen Kritik an der staatlichen Politik kaum noch von bĂŒrgerlichen Liberalen unterscheidbar. Anderswo schlug die âStunde linker Staatsmythologisierungâ. Der Wiederaufstieg der Sozialdemokratie nach der Pandemie ist deshalb wohl kein Zufall. FĂŒr die Entwicklung linker Politik jenseits dieser Pole ist Ebermanns Buch ein wichtiger Beitrag.
Quelle: Graswurzel.net