Juli 25, 2021
Von InfoRiot
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Potsdam – »Women in Exile«-Sommertour gegen Rassismus und das isolierende Lagersystem startete mit einer Auftaktkundgebung in Potsdam. Mit dem Bus geht es mehrere Tage lang nach Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern.

In ihrer Heimat Pak­istan wurde Kalsoonm Taye­ba Ahmad von ihrem ersten Ehe­mann verge­waltigt. Er zwang sie, anderen Män­nern zu Willen zu sein. Sie ver­ließ diesen Part­ner und kam aus Angst vor ihm im März ver­gan­genen Jahres nach Deutsch­land, in die bran­den­bur­gis­che Erstauf­nahmestelle für Flüchtlinge in Eisen­hüt­ten­stadt. Von dort gelangte Ahmad in ein Asyl­heim in Oder­berg, wo es Stre­it um die weni­gen Duschen gab und zu wenig Platz zum Kochen. Inzwis­chen lebt die Frau mit ihrem zweit­en Ehe­mann in einem Appart­ment in einem Heim in Eber­swalde. »Dort ist es bess­er«, erzählt sie. Noch bess­er wäre jedoch eine richtige Woh­nung. Kein Flüchtling sollte in Gemein­schaft­sun­terkün­ften leben müssen. Alle soll­ten in Woh­nun­gen unterge­bracht wer­den, fordert die Pakistanerin.

Damit ste­ht sie nicht allein. Gemein­sam mit 40 anderen Frauen und Kindern beteiligt sie sich jet­zt an ein­er Tour der Flüchtlings­selb­sthil­fe­or­gan­i­sa­tion »Women in Exile« (Frauen im Exil). Mit dem Bus geht es mehrere Tage lang nach Ham­burg, Bre­men und Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Dort wollen sie andere Flüchtlinge besuchen und ermuti­gen, sich gegen Ras­sis­mus zu wehren und eine men­schen­würdi­ge Behand­lung und Unter­bringung zu ver­lan­gen. Zum Pro­gramm gehören Demon­stra­tio­nen, bei denen auch über die schlaflosen Nächte informiert wer­den soll, die Flüchtlinge aus Angst vor ihrer Abschiebung verbringen.

»Wir dacht­en uns: Wenn die Men­schen nicht zu uns kom­men kön­nen, dann müssen wir zu ihnen fahren«, berichtet Cas­pary. Das Lager in Idomeni ist inzwis­chen schon lange aufgelöst. Aber die Ini­tia­tive hat sich seit­dem immer neue Auf­gaben gesucht, die mit der Unter­stützung von Flüchtlin­gen zu tun haben. Der für die Kundge­bung auf dem Steuben­platz geback­ene Kuchen gehört dazu.

Während die Pak­istaner­in Ahmad und andere Geflüchtete die Fra­gen von Jour­nal­is­ten beant­worten, begin­nen etliche schwarze Frauen zu tanzen, eine davon mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm. Schließlich skandieren alle zusam­men: »Lager zu!« Mit­ten unter diesen Frauen ist Madleine Mawam­ba. Sie stammt aus Kamerun und engagiert sich seit neun Jahren bei »Women in Exile«, ist auch schon mehrfach bei den Som­mer­touren der Organ­i­sa­tion mit­ge­fahren, die jedes Jahr in andere Regio­nen der Bun­desre­pub­lik führen. Gegrün­det wurde »Women in Exile« 2002 in Pots­dam. Seit 2011 gibt es die Beze­ich­nung »Women in Exile & Friends« (und Fre­unde), was darauf hin­deutet, dass auch ein­heimis­che Unter­stützer mit­machen dür­fen. Inzwis­chen engagieren sich etwa 50 Frauen, die zum Beispiel aus Afri­ka, Afghanistan oder Rus­s­land nach Berlin und Bran­den­burg geflüchtet sind, berichtet Mawam­ba. »Bei unserem Plenum tre­f­fen sich sog­ar 100 bis 150 Frauen«, sagt sie. Allerd­ings kon­nten sich die Mit­stre­i­t­erin­nen während der Coro­n­akrise lange nicht per­sön­lich begeg­nen, son­dern nur per Videokon­ferenz miteinan­der kommunizieren.

Mawam­ba hat am eige­nen Leib erlebt, wie sich Diskri­m­inierung anfühlt. Nach­dem sie eine Aufen­thalt­ser­laub­nis in der Tasche hat­te, suchte sie eine Woh­nung in Berlin. »Ich hat­te 15 Woh­nun­gen besichtigt, aber nie eine bekom­men. Dann habe ich gemerkt: Das ist Ras­sis­mus. Sie geben mir keine Woh­nung, weil ich eine schwarze Frau bin.« Beim Gespräch mit den Ver­mi­etern schien am Tele­fon noch alles glatt zu laufen. Doch wenn sie denen dann gegenüber­stand, hat­te sie das deut­liche Gefühl, es liegt an ihrer Haut­farbe. Ein­mal kam erst ewig kein Besich­ti­gung­ster­min zus­tande. Sie wurde immer wieder vertröstet. Schließlich dro­hte sie, mit anderen Men­schen zu kom­men und gegen diesen Ras­sis­mus zu protestieren. Dann hieß es plöt­zlich, sie könne sofort kom­men. Das war ein gutes Beispiel dafür, dass man sich nicht alles gefall­en lassen soll. Einge­zo­gen ist Mawam­ba dann schließlich woan­ders. Ein Fre­und besorgte ihr eine Bleibe in Berlin-Kreuzberg.

Das Prob­lem in Bran­den­burg ist, dass viele Land­kreise vor fünf, sechs Jahren schnell Asyl­heime hochziehen ließen, als drin­gend Unterkün­fte für die sein­erzeit ank­om­mende große Zahl von Flüchtlin­gen benötigt wur­den. Wenn sie jet­zt umge­hend allen Flüchtlin­gen Woh­nun­gen geben, wür­den diese Heime leer­ste­hen. Die Investi­tio­nen müssen sich aber über die Jahre refi­nanzieren. Die Linke ist prinzip­iell für die Unter­bringung in Woh­nun­gen. Angesichts der geschilderten Schwierigkeit­en erk­lärt die Land­tagsab­ge­ord­nete Andrea Johlige (Linke): »Das wäre ein langfristiger Prozess. Der muss poli­tisch gewollt sein. Die Linke wäre dafür.«

Die Kundge­bung wird von zwei Streifen­wa­gen gesichert. Zu einem der Fahrzeuge laufen die kleinen Kinder ein­er schwarzen Frau. Während das Mäd­chen schüchtern­er ist, betastet der Junge das Polizeiau­to von allen Seit­en und spielt, dass er den Wagen wäscht. Der Beamte am Steuer steigt lächel­nd aus und spricht mit dem Jun­gen und der Mut­ter. Die Kinder dür­fen sich alles genau anse­hen, und zu ihrer Freude schal­tet der Polizist auch kurz das Blaulicht ein. Es ist eine sehr schöne Szene, die beina­he vergessen macht, welche Furcht viele Flüchtlinge vor Polizis­ten haben — wegen schlechter Erfahrun­gen in ihren Heimatlän­dern oder auf der Flucht, aber auch, wenn sie mit­bekom­men haben, wie deutsche Polizis­ten in den frühen Mor­gen­stun­den bei Land­sleuten gek­lin­gelt und sie zur Abschiebung zu einem Flughafen gebracht haben.






Quelle: Inforiot.de