
Vier JahÂre UnsiÂcherÂheit lieÂgen schon hinÂter Kameni. Vier JahÂre ohne ZuhauÂse, ohne klaÂre PerÂspekÂtiÂve. Der 32-jĂ€hÂriÂge KameÂruÂner spricht leiÂse, macht lanÂge PauÂsen, um die richÂtiÂgen WorÂte auf FranÂzöÂsisch zu finÂden. 2018 sei er in die TĂŒrÂkei gefloÂhen, ein Jahr habe er im berĂŒchÂtigÂten Lager Moria auf der grieÂchiÂschen Insel LesÂbos verÂbracht, so erzĂ€hlt er es »nd«. Vor zwei JahÂren dann die AnkunÂft in BerÂlin, AsylÂverÂfahÂren und UnterÂbrinÂgung in einÂer SamÂmelÂunÂterÂkunft in HalÂberÂstadt, SachÂsen-Anhalt. Es folgÂten monaÂteÂlanÂge MasÂsenÂquaÂranÂtĂ€Âne, die AblehÂnung des AsylÂanÂtrags, schlieĂÂlich die DulÂdung und Angst vor AbschieÂbung. »ManchÂmal willst du einÂfach aufÂgeÂben«, sagt Kameni.
Am SamsÂtag fĂ€hrt er zusamÂmen mit einem FreÂund aus der BerÂliÂner InitiaÂtiÂve »No BorÂder AssemÂbly« nach FrankÂfurt (Oder), um dort gegen die deutÂsche und euroÂpĂ€iÂsche MigraÂtiÂonsÂpoÂliÂtik zu proÂtesÂtieÂren. »Fight FortÂress EuroÂpe« heiĂt die DemonsÂtraÂtiÂon, »BekĂ€mpÂfe die FesÂtung EuroÂpa«, und im UnterÂtiÂtel: »SoliÂdaÂriÂtĂ€t mit allen GeflĂŒchÂteÂten an den EU-AuĂengrenzen«.
NadÂja MarÂtin spricht unter PseudÂonym fĂŒr das Demo-BĂŒndÂÂnis. Sie erinÂnert sich an die ersÂten TrefÂfen vor drei MonaÂten. AntiÂrasÂsisÂtiÂsche Aktivist*innen von der SeeÂbrĂŒÂcke Jena und PotsÂdam sowie der GrupÂpen »No BorÂder AssemÂbly« und »BorÂderÂline EuroÂpe« hĂ€tÂten sich angeÂsichts der kataÂstroÂphaÂlen Lage an der polÂnisch-belaÂrusÂsiÂschen GrenÂze zusamÂmenÂgeÂtan, um eine VerÂanÂstalÂtung gegen das euroÂpĂ€iÂsche GrenzÂreÂgime zu plaÂnen. »Die FesÂtung EuroÂpa zeigt sich seit OktoÂber 2021 sehr offenÂsichtÂlich: Es wurÂde eine GrenzÂmauÂer durch den BiaĆoÂwieĆŒa-NatioÂÂnalÂÂpark gezoÂgen, GeflĂŒchÂteÂte, unter andeÂrem aus dem Irak, SyriÂen und AfghaÂniÂstan, wurÂden völÂkerÂrechtsÂwidÂrig vom GrenzÂĂŒberÂtritt abgeÂhalÂten und mit PushÂbacks zurĂŒckÂgeÂdrĂ€ngt«, sagt sie zu »nd«. GeraÂde weil sich die ĂffentÂlichÂkeit an mörÂdeÂriÂsche GrenÂzen gewöhÂnt habe, wollÂte das BĂŒndÂnis mit einÂer bunÂdesÂweiÂten MobiÂliÂsieÂrung aufrĂŒtteln.
Dann kam der 24. FebruÂar, KriegsÂbeÂginn in der UkraiÂne. WĂ€hÂrend MenÂschen in den SĂŒmpÂfen zwiÂschen WeiĂÂrussÂland und Polen weiÂterÂhin hunÂgerÂten und starÂben, ging eine WelÂle der SoliÂdaÂriÂtĂ€t durch DeutschÂland â allerÂdings nur fĂŒr die »richÂtiÂgen« FlĂŒchtÂlinÂge. »DieÂse GleichÂzeiÂtigÂkeit zeigt noch mal deutÂliÂcher den RasÂsisÂmus und die selekÂtiÂve SoliÂdaÂriÂtĂ€t an den EU-AuĂenÂÂgrenÂzen«, sagt MarÂtin. PlötzÂlich habe die EU die MasÂsenÂzuÂstrom-RichtÂliÂnie aus der Tasche gezoÂgen â ein Gesetz, das schon seit 2001 die MögÂlichÂkeit bieÂtet, bei groÂĂen FluchtÂbeÂweÂgunÂgen AufÂÂnahÂme- und AufÂentÂhaltsÂbeÂstimÂmunÂgen zu entÂbĂŒÂroÂkraÂtiÂsieÂren. Die EinÂschrĂ€nÂkunÂgen, die den BehörÂdenÂlauf durchs AsylÂverÂfahÂren norÂmaÂlerÂweiÂse begleiÂten, fieÂlen so weg. Eine ErleichÂteÂrung, die auch schon 2015 mögÂlich geweÂsen wĂ€re, hĂ€tÂte man die RichtÂliÂnie angeÂwandt. FĂŒr MarÂtin ist die Demo am SamsÂtag im neuÂen weltÂpoÂliÂtiÂschen KonÂtext desÂhalb nicht weniÂger releÂvant geworÂden. Mit »FesÂtung EuroÂpa« seiÂen schlieĂÂlich nicht nur die AuĂenÂgrenÂzen gemeint, sonÂdern auch strukÂtuÂrelÂle GrenÂzen, die beiÂspielsÂweiÂse das Recht zu gehen und zu bleiÂben abhĂ€nÂgig von Pass oder HautÂfarÂbe verteilten.
HenÂriÂke Koch, SpreÂcheÂrin des FlĂŒchtÂlingsÂraÂtes BranÂdenÂburg, beobÂachÂtet ebenÂfalls eine »groÂĂe UngleichÂbeÂhandÂlung« von GeflĂŒchÂteÂten aus der UkraiÂne und andeÂren MenÂschen mit FluchtÂhinÂterÂgrund. Da ist das TheÂma WohÂnen: VieÂle AsylÂsuÂchenÂde und PerÂsoÂnen mit DulÂdung seiÂen manchÂmal ĂŒber JahÂre gezwunÂgen, in Lagern zu leben. »GeflĂŒchÂteÂte, die aus der UkraiÂne ankomÂmen, werÂden zwar zum Teil auch verÂteilt. Aber wer eine priÂvaÂte UnterÂkunft finÂdet, kann da hinÂgeÂhen«, so Koch zu »nd«. BranÂdenÂburgs SoziÂalÂmiÂnisÂteÂrin UrsuÂla NonÂneÂmaÂcher (GrĂŒÂne) kĂŒnÂdigÂte Anfang Mai PauÂschaÂlen von bis zu 7000 Euro an, um priÂvaÂte WohnÂgeÂleÂgenÂheiÂten zu finanÂzieÂren. 82 ProÂzent der ukraiÂniÂschen GeflĂŒchÂteÂten seiÂen laut MinisÂteÂrin priÂvat untergebracht.
Dass selbstÂbeÂstimmÂtes WohÂnen nun bestimmÂten NeuÂanÂkömmÂlinÂgen ermögÂlicht wird, muss fĂŒr poliÂtiÂsche VerÂbĂ€nÂde wie den FlĂŒchtÂlingsÂrat zynisch klinÂgen. Seit JahÂren macht die NichtÂreÂgieÂrungsÂorÂgaÂniÂsaÂtiÂon auf menÂschenÂunÂwĂŒrÂdiÂge LebensÂbeÂdinÂgunÂgen in SamÂmelÂunÂterÂkĂŒnfÂten aufÂmerkÂsam. »Das sind gewaltÂvolÂle Orte, die auf KonÂtrolÂle und EntÂmĂŒnÂdiÂgung ausÂgeÂlegt sind«, sagt HenÂriÂke Koch. »Es gibt EinÂÂgangs- und ZimÂmerÂkonÂtrolÂlen, keiÂnen Schutz fĂŒr FrauÂen und queeÂre MenÂschen, ĂberÂgrifÂfe durch SecuÂriÂÂty-PerÂÂsoÂÂnal und leiÂder auch von auĂen.« In BranÂdenÂburg kĂ€me hinÂzu, dass die vier ErstÂaufÂnahÂmeÂzenÂtren in eheÂmaÂliÂgen KaserÂnen lĂ€gen, meist schlecht angeÂbunÂden und ab vom Schuss â eine IsoÂlaÂtiÂon, die rĂ€umÂlich wie gesellÂschaftÂlich wirke.
Auch die FraÂge, wer arbeiÂten darf, teilt GeflĂŒchÂteÂte in zwei KlasÂsen: BunÂdesÂweit solÂlen Ukrainer*innen ab Tag eins arbeiÂten dĂŒrÂfen, wĂ€hÂrend AsylÂsuÂchenÂde, die in ErstÂaufÂnahÂmeÂeinÂrichÂtunÂgen unterÂgeÂbracht werÂden, sowie vieÂle MenÂschen mit DulÂdung zum Teil ĂŒber JahÂre einem BeschĂ€fÂtiÂgungsÂverÂbot unterÂlieÂgen. Und schlieĂÂlich sei auch das Geld ungleÂich verÂteilt, so Koch: WĂ€hÂrend Asylbewerber*innen LeisÂtunÂgen unterÂhalb des ExisÂtenzÂmiÂniÂmums erhielÂten, könnÂten aus der UkraiÂne gefloÂheÂne MenÂschen vorÂausÂsichtÂlich ab Juni reguÂlĂ€Âre SoziÂalÂgelÂder bezieÂhen. Auch hierÂbei sieht Koch »eine ganz offenÂsichtÂliÂche DisÂkriÂmiÂnieÂrung«. Und forÂdert: »Das AsylÂbeÂwerÂberÂleisÂtungsÂgeÂsetz muss endÂlich fĂŒr alle abgeÂschafft werden.«
Kameni sieht den dopÂpelÂten StanÂdard, und es frusÂtriert ihn. NatĂŒrÂlich fĂ€nÂde er es wichÂtig, dass DeutschÂland soliÂdaÂrisch mit der UkraiÂne sei, doch: »Wir sind auch MenÂschen. Ich brauÂche einen Ort zum SchlaÂfen, wo ich nicht konÂstant gestresst bin. Ich möchÂte LeuÂte kenÂnenÂlerÂnen, mich inteÂgrieÂren, eine AusÂbilÂdung machen.« Das alles geht nicht, weil er mit dem StaÂtus einÂer DulÂdung wedÂer seiÂnen WohnÂort frei wĂ€hÂlen noch reguÂlĂ€r mieÂten oder sich Arbeit suchen kann. »Ich bin hier angeÂkomÂmen mit HofÂfung, aber ich stoÂĂe nur auf SchwieÂrigÂkeiÂten.« MittÂlerÂweiÂle wohÂne er zwar in BerÂlin, die »No BorÂder AssemÂbly« helÂfe ihm dabei, eine UnterÂmieÂte zu bezahÂlen. OffiÂziÂell sei er aber weiÂterÂhin in HalÂberÂstadt gemeldet.
BesuÂche von DemonsÂtraÂtioÂnen und poliÂtiÂsche AktioÂnen geben ihm zuminÂdest das GefĂŒhl, nicht allein zu sein, erzĂ€hlt Kameni. »Das gibt mir wieÂder Kraft und macht mich stolz.« Bei der Demo am SamsÂtag in FrankÂfurt (Oder) möchÂte er laut sein, gemeinÂsam mit den andeÂren GeflĂŒchÂteÂten, die aus BerÂlin und aus branÂdenÂburÂgiÂschen, thĂŒÂrinÂgiÂschen und sĂ€chÂsiÂschen Lagern anreiÂsen wolÂlen: »UnseÂre StimÂmen solÂlen endÂlich gehört werden.«
Quelle: Inforiot.de